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Pöchlarn. Seit vielen Jahren wird Frau Ingrid Portenschlager von der Landesberufsschule Pöchlarn zu einem Zeitzeugengespräch eingeladen. Am Freitag, den 2. Dezember 2022 war es wieder so weit. Im Konferenzsaal erzählte sie die Geschichte ihres Vaters Ernst Reiter, der als Bibelforscher (wie damals Jehovas Zeugen genannt wurden) nach 1600 Tagen im Konzentrationslager Flossenbürg schwer traumatisiert nach Hause kam.

14 Schautafeln mit „Lebens“geschichten der Opfer und der Toten
Eine Woche lang stellte die LBS Pöchlarn den Konferenzsaal für eine NS-Gedenkausstellung zur Verfügung. 14 Schautafeln erzählten nicht nur „Lebens“geschichten der Opfer und der Toten, sondern gaben auch Einblick in den Lageralltag, der Hölle von Mauthausen und dem Terror gegenüber Kindern. Besonders nachdenklich stimmten die Tafeln „Zwischen Befehl und Gewissen“ und „Du sollst nicht töten.“

Der berührende Vortrag der 73jährigen holte den Holocaust und seine grausamen Auswirkungen in die Jetztzeit. Die 32 SchülerInnen verfolgten aufmerksam den Erzählungen über Portenschlagers Vater, der Einzelhaft, Folter und Hunger durchlebte, nur weil er den Dienst mit der Waffe verweigerte. Ernst Reiter überlebte alle Torturen ohne Verbitterung und Hass. Selbst den Todesmarsch am Ende des Krieges überstand er. Die 23köpfige Gruppe der Bibelforscher mit dem Lila Winkel, der Ernst Reiter angehörte, hielt eisern zusammen und jeder opferte sich für den anderen auf.

Weißes Blatt – Schwarzer Punkt
Dieser gelebte Zusammenhalt war eine der Lehren, die Tochter Ingrid für ihr Leben zog. Ihr Vater mahnte seine drei Töchter, mit allen Menschen gut auszukommen und das Positive zu sehen. Noch heute erinnert sie sich an das weiße Blatt Papier mit einem schwarzen Punkt in der Mitte. Auf die Frage ihres Vaters, was sie denn sehe, wies sie auf den schwarzen Punkt hin. Ihr Vater lehrte sie, alle Menschen als ein weißes Blatt Papier zu sehen, statt sich auf die Fehler, die jeder hat, zu konzentrieren.

32 SchülerInnen hörten die spannende Lebensgeschichte über Ernst Reiter

„Komm Max, trinken wir ein Bier“
An eine Begebenheit erinnert sich Ingrid noch, als wäre es gestern gewesen. Als 16jährige war sie gerade mit ihrem Vater unterwegs, als sie zufällig einen ehemaligen Peiniger trafen. Dieser hasste Ernst Reiter so sehr, dass er ihn jedes Mal, wenn er ihn im KZ sah, mit einem Gartenschlauch, gefüllt mit Sand, heftig schlug. Aber anstatt den damaligen Kapo zur Rede zu stellen oder ihm Vorwürfe zu machen, sagte ihr Vater nur: „Komm Max, trinken wir ein Bier“, das er auch noch bezahlte.

„KEIN Brot – das ist hart!“
Auch lehrte er sie, mit Lebensmittel nie verschwenderisch umzugehen. Im Lager gab es nur eine ungewürzte Wassersuppe mit ungeputztem Gemüse.

Im Winter war sie gefroren, im Sommer war das Gemüse verfault. Der Hunger war sein ständiger Begleiter. Als sie sich als Kinder einmal über ein hartes Brot beschwerten, sagte er: „KEIN Brot – das ist hart.“

Die Botschaft kam an. Drei Schülerinnen beschrieben direkt im Anschluss ihre Eindrücke.

Erik Amon: „Mich hat beeindruckt, dass Ernst Reiter 13 Jahre nach Kriegsende nach Flossenbürg fuhr, um seinen Peiniger zu treffen. Der sagte im KZ zu ihm: „Lebend kommen Sie hier nicht heraus.“ Er wollte ihm ausrichten, dass er noch lebe. Die ehemalige Drohung sah er als Motivation, durchzuhalten. Egal, wie schwierig die Umstände auch waren: dieser beeindruckende Mann wollte nicht aufgeben, sondern für seine Überzeugung kämpfen. Aufgeben war für ihn keine Option.“

OSR Dr. Ing. Berthold Obermüller, Erik Amon, Ina Waldherr, Sebastian Leitgeb, Fr. Ingrid Portenschlagerneben Fr. Esther Dürnberger, Referentin Verein Lila Winkel

Ina Waldherr: „So einen interessanten Vortrag habe ich noch nie erlebt. Das war Geschichte zum Angreifen und zum Begreifen. Ehrlich gesagt, war ich stellenweise schockiert, von den grausamen Einzelheiten. Aber noch mehr schockiert es mich, dass sich die letzten 80 Jahre nichts an der Gesinnung der Menschen geändert hat. Ich möchte für die da sein, die Opfer von Vorverurteilung, Ausgrenzung und Mobbing sind. So kann ich aktiv jenen helfen, die am Rand der Gesellschaft stehen.“

Sebastian Leitgeb: „Den schwarzen Punkt am weißen Papier kenne ich von mir persönlich. Ich habe mir fest vorgenommen, mein Gegenüber positiv zu sehen und zu überleben, was hinter einem bestimmten Verhalten stecken könnte. Auch ich habe benachteiligte Menschen schon vorschnell be- und verurteilt. Diese Oberflächlichkeit möchte ich ablegen. Die Geschichte von Ernst Reiter kann dabei sehr hilfreich sein.“

Die SchülerInnen hatten nach dem Vortrag die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Frau Esther Dürnberger, Referentin des Vereins Lila Winkel, schloss die Präsentation mit den Worten: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“

Medienkontakt:
Franz Michael Zagler,
Tel: 0676/637 84 96,
E-Mail: f.m.zagler@aon.at

Fotos: © Franz Michael Zagler

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