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Amstetten. Die Bildungseinrichtung HLW und HAK/HAS Amstetten freute sich sehr, Frau Ingrid Portenschlager, Zeitzeugin der zweiten Generation, am Donnerstag, den 15.12.2022, begrüßen zu dürfen. Im Festsaal erzählte Frau Portenschlager mit Unterstützung von Frau Esther Dürnberger, Referentin vom Verein Lila Winkel, der sich für die Rehabilitierung von Opfern der NS-Zeit einsetzt, die Geschichte ihres Vaters Ernst Reiter, der als Bibelforscher (wie damals Jehovas Zeugen genannt wurden) nach 1600 Tagen im Konzentrationslager Flossenbürg schwer traumatisiert nach Hause kam.

„Lebend kommen Sie hier nicht heraus“
So wurde Ernst Reiter vom Hauptmann am Eingangstor „begrüßt.“ Er sollte nicht recht behalten. 1958 reiste der Vater mit Ingrid und ihren beiden Schwestern nach Flossenbürg und ließ dem Hauptmann ausrichten: „Von Ernst Reiter, Häftling Nr. 1935 ICH LEBE NOCH.“

Es dauerte viele Jahre, bis Ernst Reiter über sein langjähriges Martyrium reden konnte. Die 9jährige Ingrid ahnte damals noch nicht, wie sehr dieser Satz und seine Entstehungsgeschichte ihr Leben prägen würde.

Der berührende Vortrag der 73jährigen klagte nicht an – er sensibilisierte. Die rund 140 SchülerInnen verfolgten aufmerksam den Erzählungen über Portenschlagers Vater, der Einzelhaft, Folter und Hunger durchlebte, nur weil er den Dienst mit der Waffe verweigerte. Ernst Reiter überlebte alle Torturen ohne Verbitterung und Hass. Selbst den Todesmarsch am Ende des Krieges überstand er. Die 23köpfige Gruppe der Bibelforscher mit dem Lila Winkel, der Ernst Reiter angehörte, hielt eisern zusammen und jeder opferte sich für den anderen auf.

Weißes Blatt – Schwarzer Punkt
Dieser gelebte Zusammenhalt war eine der Lehren, die Tochter Ingrid für ihr Leben zog. Ihr Vater mahnte seine drei Töchter, mit allen Menschen gut auszukommen und das Positive zu sehen. Noch heute erinnert sie sich an das weiße Blatt Papier mit einem schwarzen Punkt in der Mitte. Auf die Frage ihres Vaters, was sie denn sehe, wies sie auf den schwarzen Punkt hin. Ihr Vater lehrte sie, alle Menschen als ein weißes Blatt Papier zu sehen, statt sich auf die Fehler, die jeder hat, zu konzentrieren.

„Komm Max, trinken wir ein Bier“
An eine Begebenheit erinnert sich Ingrid noch, als wäre es gestern gewesen. Als 16jährige war sie gerade mit ihrem Vater unterwegs, als sie zufällig einen ehemaligen Peiniger trafen. Dieser hasste Ernst Reiter so sehr, dass er ihn jedes Mal, wenn er ihn im KZ sah, mit einem Gartenschlauch, gefüllt mit Sand, heftig schlug. Aber anstatt den damaligen Kapo zur Rede zu stellen oder ihm Vorwürfe zu machen, sagte ihr Vater nur: „Komm Max, trinken wir ein Bier“, das er auch noch bezahlte.

„KEIN Brot – das ist hart!“
Auch lehrte er sie, mit Lebensmittel nie verschwenderisch umzugehen. Im Lager gab es nur eine ungewürzte Wassersuppe mit ungeputztem Gemüse. Im Winter war sie gefroren, im Sommer war das Gemüse verfault. Der Hunger war sein ständiger Begleiter. Als sie sich als Kinder einmal über ein hartes Brot beschwerten, sagte er: „KEIN Brot – das ist hart.“ Die Botschaft kam an. Drei SchülerInnen der HLW und 4 SchülerInnen der HAK/HAS waren für eine Interview bereit.

Dir. Mag. Josef Gatterbauer (HLW), Esther Dürnberger, Ingrid Portenschlager, Robin Willmann, Carolin Loschnigg, Lea Danner neben Mag. Lukas Oberlerchner

Robin Willmann, HLW: „Mich faszinierte, dass Herr Reiter trotz des Erlebten, so eine Lebensfreude, Zufriedenheit und Dankbarkeit ausstrahlte. Würde mir jemand etwas antun, würde ich mit ihm nicht unbedingt auf ein Bier gehen. Herr Reiter war überhaupt nicht nachtragend – echt bewundernswert. Gut fand ich auch, dass er seine Kinder in jungen Jahren nicht mit seiner Geschichte belastet hat und auf ihre Gefühle Rücksicht nahm.

Carolin Loschnigg, HLW: „Schockierend war für mich, dass Fr. Portenschlager im Geschichtsunterricht über diese schreckliche Zeit so gut wie nichts erfuhr. Gerade diese Generation hätte ein Recht darauf gehabt, zu erfahren, wie schwierig diese Zeit war und was ihre Eltern alles durchleiden mussten. Ich finde es sehr wichtig, dass wir heute über diese Zeit reden.“

Lea Danner, HLW: „Beeindruckend fand ich, dass die Gruppe der Zeugen Jehovas so zusammengehalten hat. Selbst als sie im KZ getrennt wurden, haben sie Lieder ihrer Gottesdienste „gepfiffen.“ So wusste jeder vom anderen, dass er noch lebt und an diesen Tag durchgehalten hat. Ich möchte die Lebensmittel und die Bildungsmöglichkeiten, die mir heute zur Verfügung stehen, noch viel mehr schätzen. Allgemein finde ich, dass wir uns noch viel mehr bewusst machen sollten, welchen Luxus wir heute haben.“

Kaltrim Berisha, Mag. Waltraud Gollonitsch, Esther Dürnberger, Elvis Ibrisevic, Ingrid Portenschlager, Kenan Hodzic, Gloija Gavranovic neben Dir. Mag. Brigitte Bartmann (HAK/HAS)

Glorija Gavranovic, HAK/HAS: „Obwohl ich den Vortag von 2018 schon kannte, war das Thema für mich noch interessanter, weil ich heute einige Dinge besser verstehe und einordnen kann. Ich verstehe, dass Menschen, die fehlgeleitet und manipuliert werden, richtig grausam sein können. Es ist höchste Zeit, dass wir aus der Vergangenheit lernen, damit unserer Generation ein solches Schicksal erspart bleibt.“

Kenan Hodzic, HAK/HAS: „Die Geschichte wurde sehr spannend erzählt und für mich so greifbarer. Ich wollte schon immer wissen, wie es in den KZ’s wirklich war. Das es so viele Grausamkeiten, Folterungen und Menschenverachtendes Verhalten gab, war mir nicht bekannt. Ich habe mir vorgenommen, dass ich vermitteln möchte, wenn ich Mobbing beobachte oder merke, dass jemand unter Druck gesetzt wird.“

Elvis Ibrisevic, HAK/HAS: „Ich finde diesen vertiefenden Geschichtsunterricht sehr wertvoll, weil er die Tragweite oder das volle Ausmaß des Holocausts nicht vergessen lässt. Ich bewundere die Größe von Ernst Reiter, der wirklich vergeben konnte und nicht nachtragend war.“

Kaltrim Berisha, HAK/HAS: „Der Holocaust hat mich schon immer interessiert, weil meiner Meinung nach noch so viele Fragen unbeantwortet sind. Richtig stark fand ich, dass Herr Reiter nicht Gleiches mit Gleichem zurückzahlte. Mein Vater sagt auch immer: „Nur weil andere schlecht handeln, musst du nicht schlecht werden.“ Ich nehme mir fest vor, mich nicht von Gruppenzwang beeinflussen zu lassen sondern in Frieden zu leben – und zwar mit mir selbst und mit meinem Umfeld.“

Die SchülerInnen hatten nach dem Vortrag die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Frau Esther Dürnberger, Referentin des Vereins Lila Winkel, schloss die Präsentation mit den Worten: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin.“ Ein Schüler unterbrach die Stille und rief spontan: „Dann wäre Frieden.“

Medienkontakt:
Franz Michael Zagler,
Tel: 0676/637 84 96,
E-Mail: f.m.zagler@aon.at

Fotos: © Franz Michael Zagler

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