Pressekonferenz in Moskau zum 70. Jahrestag der Deportation von fast 10.000 Zeugen Jehovas nach Sibirien

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Am 1. April 2021 fand in Moskau eine Pressekonferenz anlässlich des 70. Jahrestags der Operation „Nord“ statt, bei der im Jahr 1951 9 793 Zeugen Jehovas und ihre Familien aus sechs Republiken der ehemaligen Sowjetunion in Zügen nach Sibirien deportiert worden waren.

Diese Veranstaltung löste bei den Mitgliedern der Zeugen Jehovas in Niederösterreich gemischte Gefühle aus. Denn mit der neuerlichen systematischen Verfolgungswelle in der russischen Föderation seit 2017 scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Andererseits gab diese Pressekonferenz auch Grund zur Hoffnung.

Zum Beispiel hob der russische Religionswissenschaftler Sergei Iwanenko rückblickend die Standhaftigkeit hervor: „Die gewaltsame Unterdrückung von Zeugen Jehovas, die seit 2017 in der Russischen Föderation systematisch erfolgt, führt nicht zum Ziel. Das wird deutlich, wenn man die Ergebnisse der Operation „Nord“ und die aktuelle Situation betrachtet – Zeugen Jehovas haben unerschütterlich an ihrem Glauben festgehalten. Für Russland wäre es im eigenen Interesse ratsam, Jehovas Zeugen wieder die rechtliche Anerkennung zu gewähren.“

Auch der kasachische Religionswissenschaftler Artur Artemjew, Autor von Jehovas Zeugen in Kasachstan: Geschichte und Status quo – eine religionshistorische Kurzanalyse (2020 revidiert) stellte fest, dass selbst das härteste Vorgehen der Sowjets gegen Jehovas Zeugen ihre Religion nicht ausrotten oder ihren Eifer dämpfen. Stattdessen nahm ihre Zahl in Kasachstan unter dem Sowjetregime zu.

Der Menschenrechtsexperte Waleri Borschew von der Moskauer Helsinki-Gruppe äußerte sich ähnlich: „Durch Verfolgung werden Jehovas Zeugen nur noch stärker. Das müssen die Regierungen einsehen.“

Ein weiterer Sprecher war Walentin Gefter. Er ist Mitglied des Sachverständigenrats unter dem Kommissar für Menschenrechte in Russland und sprach über das Thema „Inhaftierte aus Gewissensgründen im heutigen Russland“. Die in Russland inhaftierten Zeugen Jehovas sind genau genommen keine politischen Gefangenen, sondern wegen ihres Gewissens im Gefängnis. Er betonte: „Jehovas Zeugen sind keine Staatsfeinde.“ Wie er weiter erklärte, verhalten sich Jehovas Zeugen einfach aufgrund ihrer religiösen Überzeugung politisch neutral. Daher ist es ungerechtfertigt, sie zu inhaftieren.

Zuletzt kam Alexandr Werchowski zu Wort, ein Mitglied des Präsidialrats für Menschenrechte und Vorsitzender des Informations- und Analysezentrums (SOWA). Das SOWA-Zentrum beobachtet und dokumentiert jede missbräuchliche Anwendung des Extremismusgesetzes – wie auch im Fall von Jehovas Zeugen. Er stellte die aktuellen Untersuchungsergebnisse zur Verfolgung in Russland vor. „Wird diese Kampagne gegen Jehovas Zeugen irgendwann gestoppt? Das ist eine äußerst wichtige Frage, auf die wir keine Antwort haben.“ Werchowski ist der Überzeugung, dass Russland die Verfolgung von Jehovas Zeugen früher oder später beenden muss. Er zeigte mehrere Möglichkeiten auf, wie das Anti-Extremismusgesetz dahingehend angepasst werden könnte, dass der Staat vor tatsächlichen extremistischen Aktivitäten geschützt, gleichzeitig aber das Recht auf friedliche Glaubensausübung wie im Fall von Jehovas Zeugen gewahrt wird.

Medienkontakt:
Franz Michael Zagler,
Tel: 0676/637 84 96,
E-Mail: f.m.zagler@aon.at

Foto: ©jw.org

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