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Wegweisende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gegen Russland zugunsten von Jehovas Zeugen

Einige der über 330 Zeugen Jehovas aus Russland und der Krim, die seit dem Verbot durch das Oberste Gericht Russlands 2017 inhaftiert waren

Am 7. Juni 2022 gab der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine wegweisende Entscheidung gegen Russland zugunsten von Jehovas Zeugen bekannt. Mit 6 zu 1 Stimmen erklärte der EGMR das Verbot von Jehovas Zeugen in Russland für rechtswidrig. Zudem stellte das Gericht fest, dass das Verbot von gedruckten Publikationen, Zeitschriften und der offiziellen Website von Jehovas Zeugen unzulässig ist. Russland wurde angewiesen, alle anhängigen Strafverfahren gegen Jehovas Zeugen einzustellen, alle inhaftierten Personen freizulassen und das beschlagnahmte Eigentum vollständig zurückzugeben oder eine angemessene Entschädigung zu zahlen. Russland wurde angewiesen, den Klägern insgesamt 59 617 458 Euro für finanzielle Schäden (vor allem beschlagnahmtes Eigentum) sowie 3 447 250 Euro für immaterielle Schäden zu zahlen.

Wolfram Slupina, ein Sprecher von Jehovas Zeugen, erklärte: „Zeugen Jehovas freuen sich weltweit sehr über das weitreichende Urteil gegen Russland.

Das Gericht bestätigte, dass Jehovas Zeugen gesetzestreue Bürgerinnen und Bürger sind, die in Russland aufgrund von religiöser Diskriminierung unrechtmäßig verfolgt und inhaftiert werden. Wir hoffen, dass Russland der Anordnung des Gerichts Folge leistet, indem es der landesweiten Verfolgung Einhalt gebietet und alle 91 inhaftierten Zeugen Jehovas aus dem Gefängnis entlässt. Jehovas Zeugen in Russland warten sehnlich auf die Möglichkeit, ihre Religion in ihrem Heimatland frei ausüben zu können, so wie es Millionen von Mitgläubigen in mehr als 200 Ländern tun.“

Einige der über 330 Zeugen Jehovas aus Russland und der Krim, die seit dem Verbot durch das Oberste Gericht Russlands 2017 inhaftiert waren

Die wichtigsten Fakten

  • Der Europäische Gerichthof erklärte: „[Russland] muss alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass alle anhängigen strafrechtlichen Verfahren gegen Jehovas Zeugen eingestellt werden, auch unter Bezugnahme auf die kürzlich geänderten Leitlinien des Obersten Gerichtshofs von Russland (siehe Absatz 126 oben), und alle Zeugen Jehovas freilassen, die ihrer Freiheit beraubt wurden.“

Warum wichtig? Normalerweise gibt der Europäische Gerichtshof keine konkreten Anweisungen, wie staatliche Behörden ein Urteil umsetzen sollen. Zudem beschränkt sich ein Gerichtsurteil in der Regel auf die in den Prozess verwickelten Parteien. Im aktuellen Urteil hingegen macht das Gericht eine allgemeine Feststellung über alle Zeugen Jehovas in Russland. Dies weist darauf hin, dass weder die Organisation von Jehovas Zeugen noch irgendein einzelner Zeuge Jehovas eine Bedrohung für Russland darstellt. Damit wird bestätigt, dass ihre Glaubensansichten und Aktivitäten ungefährlich sind und vollständigen Schutz verdienen, da Jehovas Zeugen keine Extremisten sind.

  • Das Gericht stuft Jehovas Zeugen als friedliche, rechtmäßige Religion ein.

Eintreten für ihre Überzeugungen: „Zu versuchen, andere auf friedliche Weise von der Überlegenheit der eigenen Religion zu überzeugen, und sie aufzufordern, die ‚falsche Religion‘ zu verlassen und der ‚wahren‘ beizutreten, ist eine legitime Form der Ausübung des Rechts auf Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung.“ (§ 156)

Veröffentlichungen: „Die religiösen Aktivitäten der Kläger und der Inhalt ihrer Publikationen scheinen friedlich zu sein, was im Einklang mit ihrer erklärten Lehre der Gewaltlosigkeit steht.“ (§ 157)

Website (jw.org): Der Seiteninhalt ist nicht extremistisch. Und selbst wenn ein Teil davon extremistisch eingestuft worden wäre, hätten die Behörden verlangen sollen, den gefährlichen Teil zu entfernen, anstatt alles zu blockieren (§ 231).

Einzelne Gläubige, einschließlich Dennis Christensen: Der EGMR betonte, dass die russischen Gerichte „keine einzige Aussage, Tat oder Handlung der Kläger nannten, die von Gewalt, Hass oder Diskriminierung gegenüber anderen motiviert oder damit behaftet war.“ (§ 271)

Wehrdienstverweigerung und Bluttransfusionen: Das Gericht wies erneut darauf hin, dass es sich hierbei um grundlegende Rechte handelt, die als Teil des Rechts auf Selbstbestimmung, Gewissens- und Religionsfreiheit geachtet werden müssen (§ 165, 169).

  • Das Gericht kritisierte die russischen Behörden scharf und warf ihnen vor, voreingenommen und tendenziös gewesen zu sein sowie „nicht in Treu und Glauben gehandelt zu haben.“ (§ 187)

„Beweise sind mit Voreingenommenheit gegen Jehovas Zeugen behaftet.“ (§ 180)

„Die erzwungene Auflösung aller religiösen Organisationen von Jehovas Zeugen in Russland war nicht lediglich das Resultat einer neutralen Anwendung gesetzlicher Bestimmungen, sondern enthüllte Hinweise auf eine Politik der Intoleranz der russischen Behörden gegenüber den religiösen Aktivitäten von Jehovas Zeugen, die darauf abzielt, dass Jehovas Zeugen ihren Glauben aufgeben und andere davon abgehalten werden, sich ihnen anzuschließen.“ (§ 254)

Schwerwiegende „Verfahrensfehler“, wie z. B. die Tatsache, dass sich die russischen Gerichte auf voreingenommene Gutachten verließ, die von der Polizei und Staatsanwaltschaft ausgesucht wurden, anstatt die Veröffentlichungen unvoreingenommen zu untersuchen (§ 252).

Das Anti-Extremismus-Gesetz ist so vage und weit gefasst formuliert, dass es den Behörden erlaubte, willkürlich gegen Jehovas Zeugen vorzugehen (§ 272).

  • Russland hat gegen mehrere Artikel der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoßen:

Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Artikel 9)
Freie Meinungsäußerung (Artikel 10)
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Artikel 11)
Artikel 1 des Zusatzprotokolls Nr. 1 (Recht auf Achtung des Eigentums)

  • Der Rechtsfall „Taganrog LRO and others v. Russia“ (32401/10) wurde mit 19 anderen Klagen kombiniert, die in den Jahren 2010 bis 2019 von Jehovas Zeugen eingereicht wurden. Die Gesamtzahl der Kläger beläuft sich auf 1444, wovon 1014 natürliche und 430 juristische Personen sind (einige Kläger erscheinen in mehr als einer Klage).

Auswirkungen des Urteils

  • Innerhalb Russlands: Wenngleich Russland kein Mitglied des Europarats mehr ist, fanden die strittigen Gerichtsverhandlungen statt, lange bevor Russland aus dem Europarat austrat und somit ausgeschlossen wurde. Russland hatte Gelegenheit, zu allen Streitthemen des Falls Stellung zu nehmen. Überdies hat der EGMR eine Verbindung zwischen diesem Urteil und den kürzlich geänderten Leitlinien des Obersten Gerichtshof Russlands hergestellt. Deshalb ist es verpflichtet, seinen Inhalt zu beachten, umso mehr, als der Inhalt des Urteils unterschiedslos auf alle Zeugen Jehovas Anwendung findet.
  • Außerhalb Russlands:Der EGMR, der weltweit wichtigste internationale Gerichtshof für Menschenrechte, hat für alle Länder in Europa und anderswo ein für alle Mal klargestellt, dass Jehovas Zeugen friedliche Menschen sind, deren Glaubensansichten und religiösen Aktivitäten ungefährlich sind. Er hat aufgezeigt, dass staatliche Behörden kein Recht haben, die Rechtmäßigkeit der            Glaubensansichten von Jehovas Zeugen in Frage zu stellen, auch wenn diese den Behörden vielleicht missfallen, da sie in den privaten Bereich jeder Einzelperson fallen (§ 172).

Medienkontakt:
Franz Michael Zagler,
Tel: 0676/637 84 96,
E-Mail: f.m.zagler@aon.at

Foto: © jw.org

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