Mauthausen. In der KZ-Gedenkstätte Mauthausen fand vom 19. bis 20. September 2025 das 16. Dialogforum mit dem Titel „Die Befreiung und ihre Nachwirkungen“ statt. Neben einem allgemeinen Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte gaben 16 Referent:innen einen Einblick in die Zeit nach dem Holocaust.
Die rund 70 Teilnehmer bekamen einen Einblick in die Zeit nach dem 5. Mai 1945, als das KZ Mauthausen von Angehörigen der U.S. Army befreit wurde. Selbst nach der Befreiung starben tausende Personen, die von der Lagerhaft derart geschwächt oder schwerkrank waren. In den folgenden Jahrzehnten starben viele an den Folgen der Lagerhaft, die nicht nur schwere gesundheitliche Schäden hinterließ, sondern auch psychische Traumata.
Jene, die überlebten, stellten sich die Frage: Wohin? Die Heimat war zerstört und ihre Familie war verschleppt oder getötet worden. So blieben sie über Jahre hinweg als sogenannte „Displaced Persons“ (Vertriebene Personen) in Barackenlagern oder fanden eine neue Heimat inmitten der ehemaligen Täter.
All diesen Themen widmete sich das 16. Dialogforum Mauthausen, wie das Mauthausen-Komitee im Vorfeld informierte.
Das Programm begann am Freitagvormittag mit Panel 1 (Das KZ-System Mauthausen und die Befreiung) und mit „der Heimholung der ungarischen Jüdinnen und Juden aus dem Konzentrationslager Mauthausen.“ Dann folgte der Beitrag über „die Kinderhäftlinge des KZ Melk nach ihrer Befreiung“ und schloss mit dem spannenden Thema „Die Befreier nach der Befreiung – offizielle und familiäre Erinnerungskulturen.“
Der Freitagnachmittag wurde mit dem Vortrag „Orte der NS-Verbrechen in unmittelbarer Umgebung – Vermittlungsangebote zu ehemaligen KZ-Außenlagern“ eröffnet. Die zweite Ansprache hatte das Thema „Zivilcourage damals und heute – lernen aus Lebensgeschichten.“ Vor dem Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte stellte die dritte Referentin die „Biografie und das Gedächtnis: (Über)lebensgeschichten befreiter Häftlinge des KZ-Systems Mauthausen-Gusen“ vor.
Der Himbeerpflücker
Danach folgte das Referat „Die Rolle der Häftlinge bei den ersten Ermittlungen in Mauthausen nach der Befreiung.“ „Leben nach dem Überleben“ war der Schwerpunkt des letzten Berichts bevor um 20:00 Uhr die Filmvorführung „Der Himbeerpflücker“ aus 1965 startete.
Am Samstag standen die Panels 2-4 am Programm. Panel 2 hatte „Verschiedene Opfergruppen nach der Befreiung“ zum Inhalt und wurde von Hrn. Falk Bersch mit dem Thema „Die zweifache Verfolgung der Zeugen Jehovas im NS-Staat und in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone) und in der DDR“ eröffnet. Falk Bersch wurde 1972 in Dresden geboren und betreibt seit dem Jahr 2000 historische Recherchen. Seit 2017 hat er mehrere Bücher veröffentlicht, ist Mitautor und Mitwirkender von Ausstellungen, Filmen und Fernsehbeiträgen und hat seine Forschungsschwerpunkte auf DDR-Strafvollzug, Kriegsdienstverweigerung und jüdische Emigration in China gelegt, um nur einen kleinen Ausschnitt seiner Tätigkeit zu nennen.
Die Zuhörer waren sichtlich überrascht, zu erfahren, dass in der Sowjetischen Besatzungszone im Osten Deutschlands von 1945 bis 1985 6.047 Zeugen Jehovas inhaftiert wurden. Nicht wenige fanden sich ab 1950 in denselben Haftanstalten wieder, in denen sie schon während der NS-Zeit inhaftiert waren. Manche sogar in derselben Zelle!
Falk Bersch berührte mit der Lebensgeschichte von Charlotte Decker (1920-2005), die vier Jahre Konzentrationslager hinter sich hatte. Ihr wurde 1952 der Status einer Verfolgten im Naziregime aberkannt, da sie, so die offizielle Begründung, „durch […] Nichtbeteiligung an Wahlen […] neofaschistischen Bestrebungen Vorschub geleistet“ habe. Erst nach der „Wende“ 1989/1990 wurde ihre Verfolgungsgeschichte anerkannt. Sie erhielt folgendes Schreiben: „Von der Gemeindeverwaltung wird Ihnen bestätigt, dass Sie nach großem
Leiden im KZ Ausschwitz als Opfer des Naziregimes anerkannt wurden. Die erfolgte und nicht zu begründende Aberkennung bedauern wir außerordentlich.“
- Das 16. Dialogforum Mauthausen
- Rund 70 Teilnehmer bekamen einen Einblick in die Zeit nach dem 5. Mai 1945
- Falk Bersch referierte über die Verfolgungserfahrungen von Jehovas Zeugen
- Die Referenten stellten sich der Publikumsdiskussion
- : Die Teilnehmer des Vereins Lila Winkel (v.li.n.re.): Alexandra Zagler, Ulrike Springer, Falk Bersch, Heidi und Bernd Gsell, Franz Michael Zagler
„Als Zeuge Jehovas gehört es zur Biographie, dass man irgendwann eingesperrt wird“
Nicht weniger beeindruckend ist das Erlebte von Uwe Dann aus Hagenow in Mecklenburg. Er verweigerte in den 80er Jahren in der DDR den Wehrdienst und kam ins Gefängnis. Später soll er auf einer Podiumsdiskussion sagen: „Als Zeuge Jehovas gehört es zur Biographie, dass man irgendwann eingesperrt wird. Das war mir schon als Siebenjähriger klar.“
Die Verfolgungserfahrungen von Jehovas Zeugen waren damit aber nicht zu Ende. Heute verbüßen mindestens 252 Zeugen Jehovas in sechs Ländern dieser Erde eine Haftstrafe, weil sie den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigern oder friedlich ihre Religion ausüben.
Nach den Ausführungen von Falk Bersch hörte das aufmerksame Publikum ein Referat zu dem Thema „Erinnerungskultur im Wandel: Jüdische Fluchtgeschichten zwischen Salzburg und Italien.“
Der nächste Vortragende aus dem Museum Arbeitswelt, Steyr, hatte sich auf den Programmpunkt „Zwischen Aufbruch und Abschied: Die jüdische Gemeinde in Steyr nach 1945“ vorbereitet.
Nach einer kurzen Erfrischungspause startete Panel 3, das den Umgang mit befreiten Konzentrationslagern zum Inhalt hatte. Der erste Vortrag hatte folgerichtig die Frage „Was macht man eigentlich mit einem befreiten Lager?“ zum Thema.
Es folgte ein Beitrag der Universität Regensburg. Der nur im ersten Moment überraschende Inhalt: „Am meisten wollte ich den Friedhof [sehen], aber leider war [er] nicht da. Von der Entstehung und dem Verschwinden eines KZ-Friedhofs.“
Vor dem gemeinsamen Mittagessen auf Einladung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, sprach eine Referentin der KZ-Gedenkstätte Dachau folgendes Thema an: „Zwischen Selbst- und Fremdorganisation – das Internationale Informationsbüro für das ehemalige Konzentrationslager Dachau.“
Den Abschluss setzte Panel 4 – „Ehemalige Kapos nach der Befreiung.“ Brisant der erste Beitrag: „Rückfälle. Die Nachkriegsbiografie des Flossenbürg-Kapos Alois Jakubith.“
Das 16. Dialogforum Mauthausen schloss mit der „Kirsche auf der Torte“, wie sich der Referent aus der KZ-Gedenkstätte Stutthof selbst augenzwinkernd einleitete. Der Schlussvortrag erzählte die Geschichte von „Hans Vey: Ein deutscher Kapo vor einem polnischen Gericht.“
Rund 70 Teilnehmer gingen mit viel Wissen und spannenden Eindrücken nach Hause. Für das Mauthausen- Komitee Österreich beginnen hingegen jetzt schon die Vorbereitungen für das 17. Dialogforum.
Fotos: © FMZ
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Franz Michael Zagler
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