Jüngst las ich die Schlagzeile: „Ricardo Muti trifft Anton Bruckner.“ Ich dachte, es kann sich nur um eine Scéance handeln. Aber Bruckner hätte ich auch gerne getroffen. Vielleicht ist es für einen Nachmittag oder für einen Abend ein Vorteil, sich zur Unmusikalität zu bekennen. Um Verständnis dafür kann ich mit dem Hinweis bitten, dass ich in der Ära des Karajan Kults aufgewachsen bin, aber ich werde einen Text über Bernstein lesen, der ein klasser Bursch war. Überhaupt einiges über Dirigenten, auch über Dirigentinnen, einen kleinen Text über Mahler, im groben Wiener Dialekt verfasst, dann über Beethoven, Schubert, und weil es eben sein muss, über Peter Kraus, den deutschen Herold der befreienden counter-culture aus den USA.
Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Franz Schubert beschreiben?
Es ist eine sogenannte „bildungsferne Schicht“, aus der ich komme. Den Namen „Schubert“ hörte zum ersten Mal, als mein Deutschprofessor ihn erwähnte. Er sprach von Schuberts Liedern im Ton eines ungeheuer zartfühlenden Respekts. Manches, wie am „Brunnen vor dem Tore“ schien mir viele Jahre verschlissen, abgebraucht und vom Bildungskanon erdrückt. Dann war ich im Spital, krank an der Grenze von Leben und Tod. Plötzlich hatte ich einen Zugang zu dem Lied, es leuchtete mir ein als ein Dokument der Humanität, die in einem Spitalsalltag nicht gerade an erster Stelle steht.
Was verbinden Sie ihm?
Ich gebe zu, dass die Romantisierung von Personalien, wie sie Schubert im Übermaß bis ins Dreimäderlhaus verfolgt, nicht meine Sache ist. Will man wissen, wer Schubert war, höre man zum Beispiel seine „Vertonung“ einiger Zeilen aus einem Schiller-Gedicht: „Da der Dichtkunst malerische Hülle / Sich noch lieblich um die Wahrheit wand! – / Durch die Schöpfung floss da Lebensfülle, / Und, was nie empfinden wird, empfand.“ Etwas Wesentliches ist also ein für alle Mal vorüber, aber ich, der Künstler Schubert, bin noch da und zu singen wird nicht aufgehört!
Die “Landpartie” als Alltagsflucht – Schubert entfloh so der Biedermeier-Zeit und verbrachte auf Schloss Atzenbrugg sorglose Stunden mit seinen Freund:innen. Braucht der moderne Mensch noch Ähnliches?
Das ist eine gute Frage an den Touristiker. Mir wäre der historische Sinn wichtig, dass man nämlich versteht, dass alles, was seinerzeit „Alltag“ war, ganz anders als das ist, was wir heute als Alltag vor uns (und auch gegen uns) haben. Ich neige dazu, biedermeierlichen Ausflügen und Ausflüchten eine Chance einzuräumen, weil man ohne „Apperzeptionsverweigerung“, wie Doderer das nannte, die ganze Chose derzeit gar nicht mehr aushält.