Am Donnerstag, den 13. Juni, eröffnete das Stadtmuseum in Kooperation mit der Tangente eine seiner bisher größten Ausstellungen. Diese macht die Vorboten des Nationalsozialismus ab 1900, die Zeit der Schreckensherrschaft sowie die gesellschaftspolitischen Kontinuitäten bis in die Gegenwart spürbar.
Die Ausstellung behandelt einen größeren Zeitrahmen als nur die Jahre der NS-Herrschaft von 1938 bis 1945 und verweigert sich, einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit dieser menschenverachtenden Epoche zu ziehen. „Es gibt sicher angenehmere Themen, die im Stadtmuseum präsentiert werden könnten, aber es gibt wohl kaum ein wichtigeres Thema als eine profunde Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, die bis in die heutige Zeit zu verspüren ist“, sagt Museumsleiter Thomas Pulle. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ist gerade in dieser Zeit, wo die Zeitzeug:innen stetig weniger werden, von zentraler Bedeutung, da sie nicht nur hilft, das Verständnis für diese dunkle Epoche zu vertiefen, sondern auch die gesellschaftlichen und politischen Kontinuitäten bis in die Gegenwart sichtbar macht. Solch ein kritisches Erinnern ist essenziell, um aus der Geschichte zu lernen und zukünftigen Generationen die Werte von Demokratie und Menschenrechten zu vermitteln.
Detaillierte Aufarbeitung der NS-Zeit in der Stadt
Erstmals wird in einer zeitgeschichtlichen Ausstellung in St. Pölten die Zeit des Nationalsozialismus umfassend aufgearbeitet und dargestellt. Beginnend mit dem latenten Antisemitismus um 1900, über die Anfänge der NSDAP nach dem Ersten Weltkrieg und in der Zwischenkriegszeit bis hin zum „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938, entspinnt sich der Erzählstrang der Ausstellung. Die Stadtentwicklung und Kunst der Zeit werden ebenso beleuchtet wie die Struktur des NS-Systems in St. Pölten, die Biografien der Täter und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus.
Schmerzvolles Erinnern
„Es gibt wohl kein zeitgeschichtliches Thema, das uns im Rückblick so stark beschäftigt wie die Zeit des Nationalsozialismus. Dabei ist es ein sehr schmerzvolles Erinnern. Schmerzvoll für die Familien der Opfer, die unter dem Regime gelitten haben, vertrieben, eingekerkert gar oder ermordet wurden, aber auch schmerzvoll für die Angehörigen der Täter:innen und der zahlreichen Mitläufer, die dieses unmenschliche Regime unterstützt und zu verantworten haben“, sagt Bürgermeister Matthias Stalder.
Umfassende Themen und Würdigung der Opfer
Die Ausstellung behandelt auch den vom NS-Regime angezettelten Krieg, die weitgehenden Zerstörungen und das Ende der Schreckensherrschaft, die „Entnazifizierung“ und den Aufbau der Nachkriegsgesellschaft. Ein eigener Raum ist den unterschiedlichen Opfergruppen gewidmet, die in würdiger Form geehrt werden. Die Ausstellung zeigt auch, dass die NS-Zeit im gegenwärtigen Diskurs nicht ausgeblendet werden kann und dass verschiedene Kontinuitäten auf diese Zeit zurückweisen, was durch künstlerische Interventionen verdeutlicht wird.
Diskursive Ausstellungsgestaltung
Die bewusst ins Bild gesetzte Konstruktion der Ausstellungsgestaltung von BWM Designers & Architects unter der Leitung von Johann Moser referiert auf die Konstruktionsweise der Erzählung der Kurator:innen: Die hier erzählte Geschichte wird nicht als in Stein gemeißelte Wahrheit, sondern als eine mögliche, gut fundierte Erzählweise zur Diskussion gestellt. Die reduzierte Ausstellungsarchitektur macht dies transparent. „Weiße, schräg gestellte Tafeln, lose in den weißen Museumsräumen verteilt, sind mit den Ausstellungsinhalten plakatiert. Originalobjekte durchstoßen die Präsentationsflächen. Immer wieder öffnen sich Blicke in die Rückseiten der Ausstellungsdisplays, ihre Stützkonstruktionen aus unbehandeltem Holz sind offen sichtbar,“ führt Johann Moser von BWM Designers & Architects aus.
Die Vermittlung der Ausstellung wurde in Abstimmung mit dem Wiener Büro „trafo.K“ erarbeitet, das auf Projekte an der Schnittstelle von Bildung und kritischer Wissensproduktion spezialisiert ist. In Workshops mit den Kulturvermittlerinnen des Stadtmuseums und der Tangente wurde das Vermittlungskonzept der Ausstellung geschaffen, das in zwei Schulprojekten auch praktisch umgesetzt wurde. Zudem finden sich in jedem Raum der Ausstellung vermittlerische Interventionen in Form von Postkarten, die das Publikum zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema einladen.
Ein Ort des kritischen Erinnerns
In Kooperation mit der Tangente St. Pölten unternimmt das Stadtmuseum den Versuch, die Wirkungsmacht von Stadtgeschichte zu untersuchen und deutlich zu machen.
„Die Ausstellung soll ein Ort sein, der der Öffentlichkeit Materialen aus dem Stadtarchiv und dem Museumsdepot zur Ansicht gibt und so ein kritisches Erinnern unterstützt. Die Besucher:innen sind eingeladen, Spuren aufzunehmen und Fragen zu stellen“, sagt Tarun Kade, der kuratorische Leiter der Tangente.
Das Stadtmuseum soll nicht nur ein Ort sein, an dem Wissen weitergegeben, sondern auch generiert wird. Um dies zu erreichen, werden partizipative Workshops mit Schul- und anderen Gruppen angeboten, die die Forschung des Ausstellungsteams weiterführen.
Weitere Informationen sind auf der Webseite des Stadtmuseums St. Pölten unter www.stadtmuseum-stp.at zu finden.