Melk. Dir. Mag. Johannes Eichhorn begrüßte persönlich die Schulkassen zum 10. Zeitzeugengespräch seit 2016 im Stiftsgymnasium Melk am Mittwoch, dem 29. Jänner 2025 mit den Worten: „Es darf nicht vergessen werden, was damals zum Nationalismus führte.“ Er wies darauf hin, dass besonders junge Menschen durch die sozialen Medien mit rechtsextremistischem Gedankengut konfrontiert sind. Dann erzählte Frau Judith Ribic, Zeitzeugin der 2. Generation, die Geschichte ihres Vaters Ernst Reiter, der als Bibelforscher (wie damals Jehovas Zeugen genannt wurden) nach 1600 Tagen im Konzentrationslager Flossenbürg schwer traumatisiert nach Hause kam.

Schubkarre für die Schwächsten
Der berührende Vortrag der 71jährigen holte den Holocaust und seine grausamen Auswirkungen in die Jetztzeit. „Aus Fehlern lernt man“, so Fr. Ribic „aber hätten wir wirklich aus der Geschichte gelernt, hätten wir heute keine Kriege.“ Die SchülerInnen verfolgten aufmerksam den Erzählungen über Ribics Vater, der Einzelhaft, Folter und Hunger durchlebte, nur weil er den Dienst mit der Waffe verweigerte. Ernst Reiter überlebte alle Torturen ohne Verbitterung und Hass. Selbst den Todesmarsch am Ende des Krieges überstand er. Die 23-köpfige Gruppe der Bibelforscher mit dem Lila Winkel, der Ernst Reiter angehörte, hielt eisern zusammen und jeder opferte sich für den anderen auf. So organisierten sie sich eine Schubkarre, in die sie den jeweils Schwächsten unter ihnen legten.

Weißes Blatt – schwarzer Punkt
Dieser gelebte Zusammenhalt war eine der Lehren, die Tochter Judith für ihr Leben zog. Ihr Vater mahnte seine drei Töchter, mit allen Menschen gut auszukommen und das Positive zu sehen. Noch heute erinnert sie sich an das weiße Blatt Papier mit einem schwarzen Punkt in der Mitte. Auf die Frage ihres Vaters, was sie denn sehe, wies sie auf den schwarzen Punkt hin. Ihr Vater lehrte sie, alle Menschen als ein weißes Blatt Papier zu sehen, statt sich auf die Fehler, die jeder hat, zu konzentrieren.

„KEIN Brot – das ist hart!“
Sehr wichtig war dem Vater auch, mit Lebensmitteln nie verschwenderisch umzugehen. Im Lager gab es nur eine ungewürzte Wassersuppe mit ungeputztem Gemüse. Im Winter war sie gefroren, im Sommer war das Gemüse verfault. Der Hunger war sein ständiger Begleiter. Als sie sich als Kinder einmal über ein hartes Brot beschwerten, sagte er: „KEIN Brot – das ist hart.“

Fotolegende von links nach rechts: Adrian, Manuel, Esther Dürnberger, Dir. Mag. Johannes Eichhorn, Mag. Ronald Baireder, Judith Ribic, Amelia und Magdalena
(Foto: FMZ)

Die Botschaft kam an. Vier SchülerInnen beschrieben direkt im Anschluss ihre Eindrücke.

Adrian: „Der Vortrag hat mich gedanklich sehr beschäftigt. Unvorstellbar, wie viel Hunger diese Menschen leiden mussten. Beeindruckt hat mich, wie Ernst Reiter zu seiner Überzeugung stand und auf sein Gewissen hörte.“

Manuel: „Es war ein spannender und interessanter Bericht über eine schreckliche Zeit. Cool fand ich, so viele Details zu erfahren. Ich war echt schockiert, wie Menschen andere Menschen so schrecklich misshandeln und foltern konnten.“

Magdalena: „Es ist sehr wichtig, über diese Zeit zu reden, damit diese Gräueltaten nie mehr wieder passieren. Besonders für uns junge Menschen ist es wertvoll, uns daran zu erinnern, denn wir haben Einfluss auf die Zukunft. Für mich ist es unvorstellbar, wie manche den Holocaust leugnen – da gibt es nichts abzustreiten.“

Amelia: „Am meisten schockiert haben mich die medizinischen Experimente an Kinder, sogar an Neugeborene. Ich finde es echt stark, lieber sterben zu wollen, wie Ernst Reiter, als seine religiöse Überzeugung abzuschwören.“

Die wertschätzenden Einträge der Klasse ins „Buch der Erinnerung“ für die Zeitzeugin Judith Ribic zeigen, wie lebendig Zeitgeschichte sein kann. Man spürte die Entschlossenheit, die Geschichte nicht wiederholen zu wollen und gegenseitigen Respekt und Toleranz im Alltag zu leben.

Das Interview führte Franz Michael Zagler.

Im Stiftsgymnasium Melk fand im Jänner 2025 bereits das 10. Zeitzeugengespräch statt

Fotos: Franz Michael Zagler

Kontakt:
Franz Michael Zagler
Tel: 0676/637 84 96
E-Mail: fm.zagler@outlook.com

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