Tulln. Am Dienstag, dem 7. Oktober 2025, um 16:00 Uhr enthüllt die Stadt Tulln am Stadtfriedhof eine Gedenktafel, die an die 14 NS-Opfer der Zeugen Jehovas erinnert. Bürgermeister Mag. Peter Eisenschenk sendet Grußworte der Gemeinde und führt die Gäste um 17:00 Uhr ins Atrium des Rathauses auf dem Minoritenplatz 1. Das historische Gebäude des ehemaligen Minoritenklosters Tulln bildet den passenden Rahmen für die Gedenkveranstaltung, wo von 9:00 bis 20:00 Uhr im Clubraum die Ausstellung „Lebendige Geschichte“ des Vereins Lila Winkel mit begleiteten Führungen zu sehen ist.
Die Gedenkveranstaltung wird von Fr. Mag. Heidemarie Bachhofer moderiert und musikalisch von Alexander Blach und Carlos Castro umrahmt. Bürgermeister Mag. Peter Eisenschenk begrüßt die Anwesenden und Dr. Harald Walser gibt einen Einblick in die Geschichte der Zeugen Jehovas unter dem NS-Regime in Österreich. Anschließend skizziert Karl Bockenauer, Mitglied und Seelsorger der Zeugen Jehovas in Tulln, den Alltag seiner Mitgläubigen unter dem NS-Regime in Tulln und welche Haltung sie zu Opfern machte. Dann berichtet Stefan Mayerhofer, Pastoralassistent und Notfallseelsorger in Ruhe, über die Entstehungsgeschichte der Gedenktafel und seinen persönlichen Bezug zur Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas.
Franz Michael Zagler, Mitglied des Vereins Lila Winkel und freier Redakteur, bat im Vorfeld Peter Höckner, Stadtrat für Kultur und Schulen (66), und Stefan Mayerhofer, Pastoralassistent und Notfallseelsorger in Ruhe (71), zum Interview. Auf die Frage, was den Ausschlag für diese Gedenkveranstaltung gegeben hat, beginnt Stefan Mayerhofer ausführlich zu erzählen:
„2023 erzählte mir ein inzwischen verstorbener Freund, Hr. Rudolf Walter, dass ein gewisser Wilhelm Kessler als Bibelforscher (wie damals Jehovas Zeugen genannt wurden, Anm.) im Hitlerregime seinen Tod fand. Rudolf Walter, der 2025 verstarb, wünschte sich für seine mutigen Mitgläubigen eine Erinnerungstafel. Ich begann zu recherchieren und setzte mich mit der Glaubensgemeinschaft in Tulln in Verbindung. Die Lebensgeschichten der 14 Opfer beeindruckten mich und der Bürgermeister befürwortete ein solches Gedenken. Was mich als ehemaligen Pastoralassistenten der römisch-katholischen Kirche mit Jehovas Zeugen verbindet, ist der christliche Glaube. Wir als Christen haben die Aufgabe, wie Franz Jägerstätter alles für ein friedliches Miteinander zu tun. Daher ist diese Erinnerungstafel nur zu begrüßen.“
Stadtrat Peter Höckner betont, dass Tulln eine Stadt des Miteinanders ist und ein gelingendes Zusammenleben der Menschen oberste Priorität hat. Auf die Frage, warum es der Stadt Tulln so wichtig ist, zu mahnen und nicht zu vergessen, erklärt der ehemalige Lehrer und Direktor:
„Für mich ist es wichtig, miteinander Akzente zu schaffen – und das unabhängig von Religion und Politik. Da braucht es auch einen Blick zurück. Erinnerung ist immer notwendig, weil wir die Aufgabe haben, auf Dinge in der Vergangenheit hinzuweisen. Gerade in Zeiten wie diesen ist eine Gedenk- oder Erinnerungstafel etwas Bleibendes und ein Zeichen, um sich an das zu erinnern, was zur damaligen weltweiten Katastrophe führte.“
Mayerhofer erinnert sich: „Mein Vater wurde 1928 geboren und 1943 als 15-jähriger eingezogen. Er hat von den Gräueltaten nie erzählt. Einerseits konnte er nicht, andererseits wollte er auch nicht. Als er 1995 starb, nahm er auch diese Zeit mit ins Grab. Aber unsere Jugend muss davon erfahren, um ein nochmaliges Erleben zu verhindern.“
Abschließend schätzt Höckner die Chance auf Weltfrieden und ein Nicht-Nochmaliges-Erleben so ein:
„Ich hoffe sehr auf Weltfrieden. Aber solange es so läuft, wie es läuft, fürchte ich, dass der Weltfrieden in weite Ferne rückt – und zwar im Großen wie im Kleinen. Die hauptsächliche Ursache sehe ich im Egoismus, der in jedem Bereich stark zugenommen hat. Mit einer solchen Gesinnung hat der Frieden wenig Chance.“
Und Mayerhofer ergänzt: „Ich sehe diese Erinnerungstafel als kleinen Friedensbeitrag. Denn Frieden braucht es auch in der Glaubenswelt, ein Friede, der zugegebenermaßen in Gefahr ist. Ich freue mich über diese Gedenktafel und möchte mich ausdrücklich bei Fr. Mag. Petra Bockenauer-Preinfalk, Mitinitiatorin und Mitglied der Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas in Tulln, für die tolle Zusammenarbeit bedanken. Mein Dank gehört auch der Firma Breitwieser Natural Stones, die diese Erinnerungstafel gestaltet und gestiftet hat.“

„Ich kann aus Glaubensgründen nicht Soldat werden.“
Was es heißt, ein Christ zu sein, wie es Stefan Mayerhofer formulierte, zeigen zwei Ausstellungstafeln, die einen Einblick in die Gesinnung der 14 Opfer geben.
So erfährt man zum Beispiel von den Brüdern Johann und Franz Oswald. Sie wurden am 31. März 1940 verhaftet, weil sie den Wehrdienst mit dem Hinweis „Du sollst nicht töten“ (das 6. Gebot der 10 Gebote, Anm.) verweigerten. Franz kam darauf zwei Jahre ins Zuchthaus, um seine Haltung zu brechen. Er blieb jedoch bei seiner innersten Überzeugung, bestätigte mutig seine Wehrdienstverweigerung und sagte, er könne trotz Belehrung über die Folgen aus Glaubensgründen nicht Soldat werden. Er wurde am 6.5.1943 in Brandenburg-Görden hingerichtet. Sein Bruder Johann hatte eine starke Sehbehinderung und war daher untauglich. Er ließ allerdings dem Ermittlungsrichter wissen, dass er bei Tauglichkeit den Kriegsdienst verweigern würde. Johann wurde daher wegen der Zugehörigkeit zu einer wehrfeindlichen Verbindung und wegen deren Unterstützung verurteilt und verbrachte insgesamt 40 Monate im Gefangenenhaus Stein. Er überlebte den Krieg.
Insgesamt sind sieben der 14 Schicksale gut dokumentiert. Von den anderen sieben Opfern aus Tulln weiß man hingegen bis dato wenig. Bekannt ist, dass sechs davon in Konzentrationslagern oder durch Fliegerangriffe ums Leben kamen. Von Wilhelm Kessler, von dem Stefan Mayerhofer eingangs sprach, ist die Todesursache ungewiss. Er wurde entweder hingerichtet oder ertrank auf dem Schiff „Cap Arcona“, das in der Lübecker Bucht versenkt wurde. (Auf diesem Schiff in der Ostsee waren rund 7000 Gefangene gepfercht und es wurde fünf Tage vor Kriegsende von der SS gesprengt, Anm.)
Die Veranstaltung gibt die Möglichkeit zur Diskussion und die Ausstellung „Lebendige Geschichte“ des Vereins Lila Winkel im Clubraum bis zum geplanten Ende um 20:00 Uhr zu sehen. Der Eintritt ist frei und für Erfrischungen ist gesorgt.
Kontakt:
Franz Michael Zagler
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