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Amstetten. Im Medienraum der HAK Amstetten hörten 94 Schüler:innen und 8 Lehrer:innen das spannende Zeitzeugenprojekt über Ernst Reiter, der als Bibelforscher (wie damals Jehovas Zeugen genannt wurden) nach 1600 Tagen im Konzentrationslager Flossenbürg schwer traumatisiert nach Hause kam.

Schubkarre für die Schwächsten
Der berührende Vortrag von Esther Dürnberger, Referentin des Vereins Lila Winkel, holte den Holocaust und seine grausamen Auswirkungen in die Jetztzeit. Ernst Reiter durchlebte Einzelhaft, Folter und Hunger, nur weil er den Dienst mit der Waffe verweigerte. Er überlebte alle Torturen ohne Verbitterung und Hass. Selbst den Todesmarsch am Ende des Krieges überstand er. Die 23-köpfige Gruppe der Bibelforscher mit dem Häftlingskennzeichen Lila Winkel, der Ernst Reiter angehörte, hielt eisern zusammen und jeder opferte sich für den anderen auf. So organisierten sie sich eine Schubkarre, in die sie den jeweils Schwächsten unter ihnen legten, und alle überlebten.

Foto: © FMZ

Weißes Blatt – schwarzer Punkt
Dieser gelebte Zusammenhalt war eine der Lehren. Ernst Reiter mahnte seine drei Töchter, mit allen Menschen gut auszukommen und das Positive zu sehen. Noch heute erinnern sie sich an das weiße Blatt Papier mit einem schwarzen Punkt in der Mitte. Damit lehrte der stets lebensbejahende Vater seine Töchter, alle Menschen als ein weißes Blatt Papier zu sehen, statt sich auf die Fehler, die jeder hat, zu konzentrieren.

„KEIN Brot – das ist hart!“
Sehr wichtig war dem Vater auch, mit Lebensmitteln nie verschwenderisch umzugehen. Im Lager gab es nur eine ungewürzte Wassersuppe mit ungeputztem Gemüse. Im Winter war sie gefroren, im Sommer war das Gemüse verfault. Der Hunger war sein ständiger Begleiter. Als sich die Kinder einmal über ein hartes Brot beschwerten, sagte er: „KEIN Brot zu haben – das ist hart.“

Foto: © FMZ

Die Botschaft kam an. Zwei Schülerinnen kommentierten das Zeitzeugenprojekt so:

Jana: „Ich habe die Lebensgeschichte bereits zum zweiten Mal gehört. Die Welt befand sich damals sicher in einem Ausnahmezustand. Menschen wurden zu vielen gezwungen und ich bin in Sorge, dass auch heute von bestimmten Gruppierungen großer Druck auf die Gesellschaft ausgeübt wird. Deshalb fasziniert mich die Haltung von Ernst Reiter – er machte aus der Situation das Beste und schaffte es, trotz allem, positiv zu bleiben und keine Rachegefühle zu hegen.“

Laura: „Ganz ehrlich, ich habe oft schlucken müssen. Ich hörte zwar die unglaublichen Zahlen der Opfer, konnte aber das Leid dahinter nicht begreifen. Für mich ist es unfassbar wichtig, dass die Geschichte von Ernst Reiter in die Schulen getragen wird. Es muss wohl an seiner starken Persönlichkeit liegen, dass er das Erlebte im Gegensatz zu vielen anderen Opfern verarbeitet hat. Der starke Zusammenhalt in der Glaubensgemeinschaft hat Ernst Reiter zusätzliche Kraft zum Durchhalten im KZ gegeben und offenbar auch für die Zeit danach.“

Die wertschätzenden Einträge ins „Buch der Erinnerung“ zeigen, wie lebendig Zeitgeschichte sein kann. Man spürte die Entschlossenheit, die Geschichte nicht zu vergessen und gegenseitigen Respekt und Toleranz im Alltag zu leben.

Das Interview führte Franz Michael Zagler.

Fotolegende von links nach rechts: Dir. Mag. René Bremböck, Mag. Johannes Weinberger, Jana, Esther Dürnberger, Laura und Mag. Matthias Schabasser Foto: © FMZ

Kontakt:
Franz Michael Zagler
Tel: 0676 637 84 96
E-Mail: fm.zagler@outlook.com