Amstetten. Im Medienraum der HLW Amstetten hörten 65 Schüler:innen das spannende Zeitzeugenprojekt über Ernst Reiter, der als Bibelforscher (wie damals Jehovas Zeugen genannt wurden) nach 1600 Tagen im Konzentrationslager Flossenbürg schwer traumatisiert nach Hause kam.
Schubkarre für die Schwächsten
Der berührende Vortrag von Esther Dürnberger, Referentin des Vereins Lila Winkel, holte den Holocaust und seine grausamen Auswirkungen in die Jetztzeit. Ernst Reiter durchlebte Einzelhaft, Folter und Hunger, nur weil er den Dienst mit der Waffe verweigerte. Er überlebte alle Torturen ohne Verbitterung und Hass. Selbst den Todesmarsch am Ende des Krieges überstand er. Die 23-köpfige Gruppe der Bibelforscher mit dem Häftlingskennzeichen Lila Winkel, der Ernst Reiter angehörte, hielt eisern zusammen und jeder opferte sich für den anderen auf. So organisierten sie sich eine Schubkarre, in die sie den jeweils Schwächsten unter ihnen legten, und alle überlebten.
Weißes Blatt – schwarzer Punkt
Dieser gelebte Zusammenhalt war eine der Lehren. Ernst Reiter mahnte seine drei Töchter, mit allen Menschen gut auszukommen und das Positive zu sehen. Noch heute erinnern sie sich an das weiße Blatt Papier mit einem schwarzen Punkt in der Mitte. Damit lehrte der stets lebensbejahende Vater seine Töchter, alle Menschen als ein weißes Blatt Papier zu sehen, statt sich auf die Fehler, die jeder hat, zu konzentrieren.
„KEIN Brot – das ist hart!“
Sehr wichtig war dem Vater auch, mit Lebensmitteln nie verschwenderisch umzugehen. Im Lager gab es nur eine ungewürzte Wassersuppe mit ungeputztem Gemüse. Im Winter war sie gefroren, im Sommer war das Gemüse verfault. Der Hunger war sein ständiger Begleiter. Als sich die Kinder einmal über ein hartes Brot beschwerten, sagte er: „KEIN Brot zu haben – das ist hart.“
Die Botschaft kam an. Vier Schülerinnen beschrieben direkt im Anschluss ihre Eindrücke.
Tabea: „Ich bewundere Ernst Reiter für seine starke Persönlichkeit. Er war immer positiv, nie nachtragend und rächte sich auch dann nicht, als er die Möglichkeit dazu hatte. Dieser Vortrag ist sehr wichtig, da die Menschen leider leicht manipulierbar sind und wahrscheinlich auch heute einem charismatischen Mann glauben würden, der selbstbewusst auftritt und große Versprechen macht.“
Nina: „Schockiert hat mich die Behandlung der Gefangenen – und zwar vom ersten Tag an. Bestimmt hatte auch Ernst Reiter keine Vorstellung davon, was ihm bevorstand. Umso bewundernswerter finde ich seine Willensstärke, sein Durchhaltevermögen und die Hoffnung, dass diese Torturen irgendwann enden werden. Nach der Matura studiere ich Kriminalpsychologie, weil ich unbedingt wissen möchte, was in einem Menschen vorgeht, der er so viel Hass auf andere entwickelt.“
Mary: „Diese Geschichte darf sich niemals wiederholen. Wir dürfen den Holocaust nicht vergessen und nicht verleugnen. Ich habe überhaupt kein Verständnis für Nazi-Demos oder für rechtsradikales Gedankengut. Menschen wie Ernst Reiter faszinieren mich: Er entwickelte keinen Gegenhass, trotz übelster Behandlung.“
Felise: „Ernst Reiter lebte nach dem Prinzip „Vergeben JA, Vergessen NEIN“. Wir dürfen diese Zeit auch nicht vergessen, sonst stehen wir in der Gefahr, sie noch einmal erleben zu müssen. Sein Glaube und das, was er aus der Bibel gelernt hat, müssen ihm unendlich viel Kraft gegeben haben, um das Schlimmste zu ertragen. Der Zusammenhalt in der Glaubensgemeinschaft war sicher auch maßgeblich dafür, 1600 Tage im KZ zu schaffen – allein unvorstellbar.“
Die wertschätzenden Einträge ins „Buch der Erinnerung“ zeigen, wie lebendig Zeitgeschichte sein kann. Man spürte die Entschlossenheit, die Geschichte nicht zu vergessen und gegenseitigen Respekt und Toleranz im Alltag zu leben.
Das Interview führte Franz Michael Zagler.

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ontakt:
Franz Michael Zagler
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